Hannes Birnbacher, Windhagen/Ww.

Sauerteig ansetzen und Sauerteigbrot backen

Es ist nicht nur ein Rezept unter Tausenden wie für Blätterteig oder marinierte Steaks. Die Erfahrung, daß mit nichts als Mehl, Salz und Wasser das schmackhafteste, haltbarste und bekömmlichste Nahrungsmittel hergestellt werden kann, hat sich in allen Religionen unserer Erdhälfte niedergeschlagen. Wir beten um das tägliche Brot, wir brechen es mit dem Fremden, wir danken unserem Schöpfer für seine Gabe, und viele Hobby-Brotbäcker schreiben mit Zärtlichkeit über die unsichtbaren Lebewesen, die uns die Herstellung von Sauerteigbrot möglich machen. Man könnte in's Nachdenken kommen ...

Vorbemerkung

Wer sich zum erstenmal mit dem Backen eines Sauerteigbrotes beschäftigt, dem kommt das Verfahren kompliziert vor.
Der Leser verlasse sich darauf, bei mir ist die Herstellung eines Sauerteigbrotes Alltagsroutine und nimmt nicht mehr Zeit in Anspruch, als wenn ich extra ein Brot kaufen fahre. Im Kühlschrank ist ein Teigrest von ca. 120 Gramm gut verschlossen, der Monate unbeachtet überstehen kann; er wird mit Leitungswasser und erst je 1 Müslischale voll Weizen- und Roggenmehl angerührt, 8 Std. später mit je 2 weiteren Müslischalen Mehl; der Sauerteig für's nächstemal wird abgenommen und der Hauptmasse 1 Teelöffel Salz sowie 1 Esslöffel Brotgewürz hinzugegeben; 8 Std. später wird daraus ein frisches, duftendes Brot gebacken, fertig.

1.) Backrezept für ein Mischbrot, alle Angaben "circa"

Frisch gemahlenes Korn (von Alnatura erhältlich in DM-Drogeriemärkten, HIT usw.) ist gesünder, denn wenn gemahlenes Mehl in den Handel kommt, müssen die wertvollen organischen Bestandteile (Keimhäutchen) vorher großenteils entfernt werden, damit es nicht verdirbt, während das ganze Korn ewig hält. Man mahle sehr fein, sonst geht der Teig nicht auf.

Tue das Mehl in eine Schüssel. Mache eine Mulde in die Mitte. Tue "Starter" hinein, s.u. Rühre nach und nach handwarmes Wasser in die Mulde mit einem Kochlöffel ein. Roggen- zu Weizenmehl zu Wasser soll das Verhältnis 30:30:40 haben, also z.B. zu 900 gr. Mehl ca. 600 gr = 0,6 ltr. Wasser bereitstellen.
Nach dem Backen und Austrocknen verliert die Masse an Gewicht: Mehl zu Wasser bleibt wie 30:30:20, d.h. aus 1500 Gramm angerührten Teiges, bestehend aus 900 Gramm Mehl und 600 Gramm Wasser, wird ein Brot von 1200 Gramm.
Die Benutzung eines metallenen Löffels, etwa um den Teig vom Kochlöffel loszukratzen oder zum Abnehmen des Sauerteiges für das nächstemal, ist unschädlich, aber zum Rühren ist das Blech zu schwach. Verknete Wasser, Mehl und "Starter".
Nimm einen Esslöffel des Teiges für das nächstemal als "Starter" ab und bewahre ihn verschlossen im Kühlschrank auf.
Füge dann Gewürze wie Kümmel, auch Koriander, Anis, Fenchel hinzu und ggf. kleine Speckwürfel oder Sonstiges nach Belieben, sowie einen schwach gehäuften Teelöffel Salz. Verrühre und verknete das Ganze mit dem Kochlöffel oder den Knethaken eines Elektromixers. Der Teig soll ideal sein, wenn er sich papierdünn ausziehen lässt. Tue den Teig in eine eingefettete Brotform.
Tue gegen Austrocknung eine Haube oder die ausgewaschene, umgedrehte Rührschüssel, darüber ein Handtuch, über die Backform und stelle den Teig je nach Reife des Starters vier bis zehn Stunden an einen warmen Ort (z.B. Heizkissen auf halber Stufe im Küchenunterschrank), bis er aufgeht und die ganze Form ausfüllt.
Pinsele die Oberfläche vorsichtig mit Wasser ein (nicht einschneiden, nicht verletzen) und streue ggf. noch etwas Gewürz obendrauf. Stelle die Form zusammen mit einem kl. Glas Wasser in den Herd, bei vorgeheizter Heissluft z.B. zehn Minuten bei 220 Grad und dann eine Dreiviertel Stunde bei 190 Grad.
Tipps: Nach dem Herausnehmen drehe das Brot  mit der von der Form her noch feuchten Unterseite nach oben und lasse es ruhig einen halben Tag austrocknen, wenn Du Dich mit dem Anschneiden des herrlich duftenden Endproduktes so lange beherrschen kannst. Einer der Vorteile von Sauerteigbrot ist übrigens, daß es nicht nur äusserst bekömmlich, sondern auch sehr lange haltbar ist.

2.) Anmerkungen zum Sauerteig

Sauerteig kann man leicht und billig heranziehen und immer wiederbeleben. Gekaufter Teig hingegen ist zu teuer und nur zur Beimischung zwecks geschmacklicher Verbesserung geeignet.
Grundsätzlich handelt es sich um einen aus Roggenmehl(-mischung) und Wasser gebildeten symbiotischen Lebensraum für Hefepilze und Milchsäurebakterien (zu denen z.B. die Kefir-bildenden Arten Streptococcus lactis und Streptococcus cremoris gehören - nicht alles, was mit "Strepto" anfängt, ist also schädlich!), die schon im Roggenkorn vorhanden waren. Deutschland gehört wie San Franzisko und der Vordere Orient zu den vielbeneideten Gegenden, in denen sich spontan ein guter Sauerteig aus den Grundstoffen entwickelt.
Hierzu wird einfach ein gehäufter Esslöffel Roggenmehl und die halbe Menge Weizenmehl mit handwarmem Wasser etwas flüssiger als zum Backen angerührt und zugedeckt an einen warmen Ort gestellt.
Alle zwölf Stunden wird unverdrossen nochmal so viel Mehl und Wasser hinzugefügt, egal ob die Masse Eigenleben zeigt, um die Menge zu verdoppeln. Nach der zweiten oder dritten Fütterung auf diese Art sollte die Masse schon vereinzelte Blasen werfen. Wenn ein gesunder, blubbernder Sauerteig auf sich warten lässt, vielleicht weil man seinen "Starter" hat übersäuern und verhungern lassen, will man aber vielleicht vor dem Verdoppeln einen Teil der Masse zur späteren Verwertung beim Backen beiseitetun, damit man nicht in geometrischer Folge 2,4,8,16, ... Löffel Mehl hinzutun und große Mengen verbrauchen muss.
In diesem Stadium ernähren sich die Kleinlebewesen von dem Mehl und haben sich bereits exponentiell stark vermehrt. Nach teilweisem Verbrauch der Nährstoffe gewinnt die Säurebildung die Oberhand über die Gasentwicklung (womit aber auch die Lebewesen beginnen, abzusterben).
Jetzt hat man einen lebendigen, gesunden "Starter". Hat man bereits einmal Brot gebacken und etwas Teig als "Starter" im Kühlschrank aufbewahrt, erreicht man dieses Stadium durch Vermischen mit genügend handwarmem Wasser und einmaliges "Füttern". Der "Starter" ist voll entwickelt, wenn er durch die Bläschen aussieht wie ein Schwamm und einen säuerlichen Geruch von sich gibt.
Warum geht mein Teig nicht auf? Zu wenig Wasserzugabe, zu lange auf das "Füttern" warten lassen, zu feucht (Entwicklung und Säurebildung geht weiter) in den Kühlschrank gestellt. Zur Aufbewahrung möglichst trocken kneten ("Krümelsauer").
Es gibt keine festen Zeit- und Mengenangaben. Man traue Augen und Nase. Auch der Anfänger wird es mit Sicherheit erkennen, wenn sein Sauerteigansatz das Stadium der Verarbeitung erreicht hat. Ist dieses Stadium noch nicht erreicht, wartet man nicht einfach ab, sondern hilft durch Füttern wie oben beschrieben. Riecht der Starter kräftig säuerlich, ist es Zeit, ihn wieder zu füttern, falls die Menge noch nicht die ca. 120 Gramm, die man zum Backen braucht, erreicht hat.


Tipp: Ein frisch gebackenes Sauerteigbrot, gut aufgegangen, ist ein phantastisches Mitbringsel.

Noch'n Tipp, wer ein bisschen Vollkorn(-schrot) unter seinen Teig bringen will, sollte mal auf http://www.top-getreidemuehlen.de/index.html stöbern!

3.) Informationen:

Newsgruppe: rec.food.sourdough

Hier findet man auf hunderten Seiten alles:
FAQ (englisch) des "Sauerteigpapstes "Darrell Greenwood"

Weitere Rezeptseite im Netz

http://rolfrost.de/roggenbrot.html
Luxus-Seite mit Bildern und einem Diagramm zur verständlichen Anleitung für das Backen

Anleitung zur Herstellung von Frischkäse aus Rohmilch mit Hilfe von Bakterien aus Sauerteig: http://rolfrost.de/frischkaese.html

4.) Kleines Beispiel zur Ermutigung:
Ich erhielt am 23.10.2008 eine Anfrage einer totalen Anfängerin, hier einige Ausschnitte mit meiner Antwort:

"> Ich nehme 1 gehäuften EL Roggenmehl und 0,5 EL Weizenmehl, etwas handwarmes
> Wasser und lasse es an einem warmen Ort stehen. Nach 12 Std. packe ich
> nochmal die gleiche Menge rein. Soweit, so gut. Wie oft muss ich das
> machen, damit ich einen fertigen Sauerteig habe

Zur Not ein Dutzendmal (d.h. man muß alsbald die Grundmenge reduzieren, bevor
man sie mit frischer Nahrung verdoppelt, jedenfalls wenn man keinen Platz für
zwei hoch ein Dutzend Portionen hat, das sind mathematisch ganz schnell viele
Zentner. Das heisst, wenn die Menge durch die Verdoppelungen von einem Löffel
auf eine Tasse auf eine Müslischale voll gewachsen ist, wird's irgend wann
mal Zeit, die Hälfte wegzuschmeissen, bevor man wieder frisches Mehl dazutut.
Egal übrigens, ob sich schon was tut oder vermeintlich nicht...).

> und nicht gerade das
> Stadium mit den vielen Kleinlebewesen erwische?

Du WILLST das Stadium mit den vielen Kleinlebewesen erwischen. D.h. irgend ein
paar Sporen von den Pilzen und Bakterien sind garantiert in dem Korn, das ist
nicht das Problem. Sie müssen Zeit, Wärme und frische Nahrung haben. Erst
besteht der Teig zu einem Zillionstel aus diesen erwünschten Lebewesen, aber
sie verdoppeln sich - alle Stunden, alle Minuten, wasweissich. Wenn sich
etwas jede Stunde verdoppelt, ist's nach 12 Stunden viertausendmal soviel -
nicht viel, wenn am Anfang nur ein Hundertstel Gramm da war. Aber nach
nochmal 12 Stunden reicht das rechnerisch für 48 Kilogramm
Sauerteig-Starter ;-).

Also irgendwann fängt das Zeug an, zu schäumen und nach Essig zu riechen. Dann
sind genug von den Viechern drin, damit sie auch ein oder zwei Kilo Mehl
binnen ein paar Stunden "anstecken" und ebenfalls in Sauerteig umwandeln."

Zur Belohnung kam einen Monat später der Erfolgsbericht für mich:
 
"Hi Hannes,
also, die ersten 5 Sauerteigbrote sind gebacken und waren köstlich. Ich hab ganz von null angefangen und eine wirklich leckere Kamut-Sauerteigkultur angesetzt. Ich  nehm immer ca. 500 Gramm von meinem Sauerteig und 600 Gramm frisches Mehl dazu, lass das dann 4-6 Stunden stehen und backe es aus.(...)
Also ich hab wie folgt angefangen: 100 grm. Kamutmehl + Wasser und nach jeweils 24 Stunden wieder die gleiche Menge dazu. Alle 4 Tage back ich dann das Brot und das reicht grad so mit meinem Sauerteig."


Man sieht, es braucht keinen Mut, einfach loslegen und irgendwann klappt's!

Anmerkung: Kamut ist ein Urweizenkorn und stammt aus Ägypten. Klappen kann das Sauerteigrezept also nur mit einem Mischbrot. Ein Rezept habe ich hier gesehen (nicht selber ausprobiert): http://www.petras-brotkasten.de/Brot3StufenSauerteigTopf.html

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30.3.2001