Wie einem psychisch Kranken, mittellos und arbeitsunfähig, von den Sozialbehörden planvoll Hilfe verweigert wird, bis sein Kind verhungert ist.
"Die Mutter von Kevin wuchs zusammen mit ihren beiden Schwestern bei der
Mutter auf. Der Vater hatte sich das Leben genommen, als sie sechs Jahre
alt war. Im Alter
von ca. 13 Jahren begann sie Drogen zu konsumieren. Zur Beschaffung der Drogen
beging sie immer wieder Straftaten, wegen derer sie mehrere Jahre in Haft
verbrachte. Im Verlaufe der Zeit unternahm die Mutter von Kevin mehrere Entzugsversuche
und Teilentgiftungen. Sie befand sich seit 1996 in Behandlung eines Arztes
für Allgemeinmedizin in Bremen, der sie mit Methadon substituierte.
Die Mutter von Kevin war HIV-positiv sowie mit Hepatitis A und B infiziert.(...).
Kevins Ziehvater begann bereits im Alter von 13 Jahren mit dem Konsum von
Alkohol und Drogen. Kurz zuvor hatte er miterleben müssen, wie sich
sein alkoholkranker
Vater das Leben nahm. Der Ziehvater verließ später die Schule
mit dem Hauptschulabschluss (...).
Aus den Vermerken des Casemanagers geht hervor, dass es sich in der Familie
Kevins in den folgenden Wochen von Mitte Juni bis Ende Juli hauptsächlich
um die
Themen Bestattung des totgeborenen Kindes (Frage der Kostenübernahme)
sowie
um das Warten auf einen Platz zur Entgiftung in Heiligenhafen drehte, deren
Beginn
sich immer wieder verzögerte. Nachdem schon die Mitarbeiterin von FIM
deutlich
gemacht hatte, dass sich die Familie ihrer Einschätzung nach derzeit
in einer außerordentlichen Krisensituation befand, notierte auch der
Casemanager am 20./21. Juni
2005, der Ziehvater erscheine ihm zur Zeit sehr angespannt. Hilfemaßnahmen
fanden in diesem Zeitraum überhaupt nicht statt. (...) Am 15. November
2005 meldete sich der Ziehvater aus der AMEOS Klinik Dr. Heines, einer Fachklinik
für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik,
in die er
inzwischen eingewiesen worden war, und teilte dem Casemanager mit, dass er
dort
zunächst bleiben werde.
Anschließend erhielten beide ab dem 1. Januar 2005
Arbeitslosengeld II, da sie wie die überwiegende Mehrzahl der bis
dahin im Sozialhilfebezug stehenden Personen auch als grundsätzlich
erwerbsfähig eingestuft
wurden.
Zuständig für die Leistungsbewilligung war seitdem die BAgIS. (...).
Auf der Liste, die die AOK Ende 2005 aufgrund dieser Vereinbarung erstellte,
stand
auch der Ziehvater von Kevin. Daraufhin teilte die BAgIS mit Bescheid vom
28.
Februar 2006 mit, dass die Zahlung von Arbeitslosengeld II ab dem 1. April
2006
eingestellt werde.
Nachdem der Ziehvater für den Monat April 2006 keine Leistungen mehr von
der
BAgIS erhalten hatte (...) wandte er sich (...) an das
Verwaltungsgericht Bremen. (...) Für den Monat April habe er bereits weder
Miete noch
Strom zahlen können. Gleiches werde auch für den Monat Mai gelten. (...).
Daraufhin gab das Verwaltungsgericht Bremen dem
Antrag durch Beschluss statt.
Unmittelbar nach seiner Antragstellung beim Verwaltungsgericht wollte sich der
Ziehvater das ihm zustehende Geld von der BAgIS auszahlen lassen. Den dortigen
Mitarbeitern erzählte er, dass ihm der Richter signalisiert hätte,
seinem Antrag stattgeben zu wollen. Da die BAgIS-Mitarbeiter jedoch zu diesem
Zeitpunkt (Freitagmittag) noch keine Kenntnis von einem Beschluss des Verwaltungsgerichts
in dieser
Angelegenheit hatten, weigerten sie sich, dessen Forderung nachzukommen. (...).
Die BAgIS versuchte weiterhin, den Ziehvater aus der Grundsicherung für
Arbeitsuchende in die Sozialhilfe umzusteuern und forderte ihn in den folgenden
Monaten mehrfach auf, sich beim ärztlichen Dienst vorzustellen. Zeitweilig
wurde
versucht,
verzögerte Überweisungen als Druckmittel zu benutzen, um den Ziehvater
zu einer
solchen ärztlichen Untersuchung zu bewegen. Das Verfahren ist bis heute
nicht abgeschlossen. (...).
Mit dem Hinweis darauf, dass er künftig Gelder beim Sozialzentrum beantragen
könne, hat die BAgIS aus ihrer Sicht somit
alles getan um zu verhindern, dass dieser ab April 2006 ohne Geld dastehen würde.
(...) Erst
am 27. April 2006 schienen seine Reserven
aufgebraucht zu sein, so dass er sich veranlasst sah, trotz seiner anfänglichen
Weigerung, das Sozialzentrum/Wirtschaftliche Hilfen aufzusuchen. Der anwesende
Mitarbeiter riet ihm dann, sich an das Verwaltungsgericht zu wenden.
Die Tatsache, dass er sich erst zu einem Zeitpunkt an die Wirtschaftlichen
Hilfen
wandte, als alles Geld restlos aufgebraucht war und sich nicht schon früher
um einen
Fortgang der Zahlungen kümmerte, lässt den Schluss zu, dass er
aufgrund seiner
Drogenabhängigkeit mit nicht alltäglichen Vorkommnissen (z.B. Weigerung
des Amtes, eine Leistung weiter zu gewähren) überfordert und nicht
in der Lage war, in derartigen Situationen strukturiert vorzugehen, also
rechtzeitig zu handeln.
Der Ausschuss ist sich natürlich bewusst, dass
der Streit mit der BAgIS und das fehlende Geld den Ziehvater den ganzen April über
in eine angespannte Lage versetzten und dies zusammen mit seinen Drogenproblemen
dazu geführt haben mag, dass er zeitweise oder auch überhaupt
nicht mehr in
der Lage war, sich um Kevins Wohlergehen zu kümmern".
Am 10. Oktober 2006 wollten die Behörden das Kind endlich aus der Wohnung seines Ziehvaters herausholen, der aus der Psychiatrie entlassen war. Da war das Kind, von seinem psychisch schwerkranken Stiefvater häufig mißhandelt (die Behörden wussten davon), schon verhungert.
Quelle: Bremische Bürgerschaft Drucksache 16/1381, Bericht
des Untersuchungsausschusses
zur Aufklärung von
mutmaßlichen Vernachlässigungen der
Amtsvormundschaft und Kindeswohlsicherung
durch das Amt für Soziale Dienste